Gendersternchen, Unterstrich, Doppelpunkt, oder was nun?

Gendersensible Sprache ist neu, ungewohnt und entwickelt sich laufend weiter. Ziel ist es, eine Sprache zu entwickeln und zu verwenden, die alle abbildet und mit einschliesst bzw. niemanden ausschliesst, also eine inklusive Sprache. Aktuell stellen sich hierzu noch einige Herausforderungen. In diesem Blogeintrag erfährst du was für die Anwendung des Gendersternchens spricht und warum du es trotzdem nicht zu oft verwenden solltest.

Die Anwendung einer gendersensiblen Sprache in unserem Alltag ist ein bewusster Entscheid, sich für eine inklusive Gesellschaft einzusetzen und an aktuelle noch geltende Normen zu rütteln. Und wer an der Norm rüttelt, erfährt auch Widerstand. Beispiele für diesen Widerstand findest du zu Genüge, wenn du im Netz zum Thema Gendern googelst oder erfährst sie gar in deinem unmittelbarem Umfeld. Umso wichtiger ist es, dir jedes Mal vor Augen zu führen, dass es hier darum geht, eine Gesellschaft zu schaffen, die sozial gerechter ist als dies heute der Fall ist. Somit gibt es hierbei kein richtig oder falsch, sondern immer nur die Frage, in welche Art von Gesellschaft du leben möchtest. Einen guten Überblick zum aktuellen Stand der Entwicklung des Genderns gibt der Beitrag von Lucia Clara Rocktäschel mit dem Titel "Die Zukunft des Genderns" vom 9. Februar 2023.


Was für die Anwendung eines Gendersternchens spricht

Das Gendersternchen, auch Asterisk genannt, wird als Symbol verwendet, das Geschlechteridentitäten mit einschliesst, für welche wir noch keine Bezeichnung haben oder noch nicht kennen. Sie lässt somit einen Freiraum für die Entfaltung von Geschlechteridentitäten offen. Dies wird durch die in alle Richtungen zeigenden Zacken symbolisiert, die für Geschlechtervielfalt stehen. So wird das Asterisk auch in der Abkürzung LGBTI*Q verwendet, das die englischen Bezeichnungen Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Inter*- und Queer abkürzt.


Was beim Gendern zu bedenken ist

In der Frage ob Gendersternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich wird deutlich, dass es noch keine perfekte Lösung gibt, um das Ziel einer inklusiven deutschen Sprache zu erreichen. Denn die Sonderzeichen sind nicht barrierefrei. Konkret sind Wörter, die diese Sonderzeichen enthalten für Menschen mit einer Sehbehinderung oder -einschränkung oder mit einer kognitiven Beeinträchtigung problematisch. Die Diversity-Texterin Lucia Clara Rocktäschel fasst dies in ihrem Beitrag "Barrierefrei gendern" folgendermassen zusammen:

  • Wer eine Sprachausgabesoftware benutzt, bekommt in vielen Fällen „Autor-Stern-innen“ oder „Expert-Unterstrich-innen“ vorgelesen.
  • In der Blindenschrift Braille sind manche Zeichen doppelt belegt und die Lesart ist eine andere als bei der Standardschrift für sehende Menschen.
  • Für Leser*innen von Leichter und Einfacher Sprache sind Varianten mit Sonderzeichen zu schwer.

Verwendest du statt einem Sonderzeichen einen Doppelpunkt, hören die Nutzer*innen an der Stelle des Doppelpunktes eine kurze Pause. Allerdings kann diese Pause je nach Software und Einstellung so lang sein, dass sie irritierend wirkt und der Text unverständlich wird. Es kann also sein, dass wir beim Gendern andere soziale Gruppen ausschliessen.


Gibt es eine Lösung, die niemanden ausschliesst?

Leider nein. Alle Wörter, die Sonderzeichen enthalten, stellen für einige Menschen mit Behinderungen Barrieren dar. Auf dem YouTube-Kanal www.netz-barriefrei.de kannst du hören, wie gendergerechte Sprache sich auf einem Screenreader anhört (Video Hörbeispiele gendergerechte Sprache mit Screenreader). Besonders lesenswert finde ich den Beitrag von Heiko Kunert, Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg, mit dem Titel “Diskriminiert das Gender-Sternchen blinde Menschen?”, um die Sache mal aus der Perspektive eines blinden Menschen zu betrachten. Der Kommentar, den der Nutzer Tomski als Reaktion auf eine Passage im bereits weiter oben erwähnten Beitrag “Barrierefrei gendern” verfasst hat, ist besonders aufschlussreich für das Verständnis darüber welche Wirkung Gendern auf Menschen im Autismus-Spektrum hat.


Soll ich nun aufs Gendern verzichten?

Da es mir wichtig ist, zu einer gerechteren Welt beizutragen, bleibt für mich die Anwendung einer gendersensiblen Sprache genauso wichtig wie die Anwendung einer diskriminierungsfreien Sprache gegenüber Menschen mit Behinderungen wie auch die Anwendung einer antirassistischen Sprache.

Wie wir am Beispiel des Asterisks bzw. des Gendersternchens erkennen können, lassen sich Diskriminierungserfahrungen oft nicht auf einen einzigen Marker reduzieren. So machen auch weibliche People of Color andere Erfahrungen als männliche People of Color und People of Color mit Cis-Identitäten (ich bin in einem weiblichen Körper geboren und identifiziere mich als Frau oder ich bin in einem männlichen Körper geboren und identifiziere mich als Mann) machen andere Erfahrungen als People of Color mit einer non-binären Geschlechtsidentität. Es sind also Erfahrungen, die an der Intersektion zwischen Geschlechtsidentität, Hautfarbe, Religion, Ethnie und Migrationshintergrund erlebt werden. Möchten wir in einer Gesellschaft leben, in der wirklich alle ihren Platz haben und gleichermassen an der Gesellschaft teilhaben können, so ist es deshalb wichtig alle möglichen Formen der Diskriminierung anzugehen und allen Menschen Sichtbarkeit in der Sprache zu geben.

Ein klares Zeichen zugunsten einer Normalisierung von Geschlechtervielfalt haben Menschen, welche Erfahrungen an der Intersektion von Geschlechteridentität und Behinderung machen, gesetzt. Eine repräsentative Studie der deutschen Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit in der Informationstechnik (BFIT-Bund) hat ergeben, dass Menschen mit Behinderungen, mit unterschiedlichen geschlechtlichen Identifikationen, unabhängig von ihrem biologisch zugeordneten Geschlecht sowie binäre Personen, den Asterisk als Sonderzeichen bevorzugen.


Wie kann ich mich denn nun für eine inklusive Sprache einsetzen?

Bis sich die Gesellschaft verändert, sind Kompromisslösungen gefragt. Damit ein Text auch für blinde Menschen, Menschen mit Sehbehinderungen und Menschen im Autismus-Spektrum zugänglich sind, sollten deshalb das Gendersternchen möglichst selten angewendet und genderneutrale Begriffe, wie beispielsweise "Team" bevorzugt werden.

Suchst du für ein Wort eine genderneutrale Alternative, dann wirst du vielleicht im Genderwörterbuch von geschicktgendern.de, auf genderator oder auf genderapp fündig. Hilfreiche Tipps für gendergerechtes Schreiben erhältst du auf der Webseite www.genderleicht.de oder unter mentorium.de.

Tipps für diskriminierungsfreie Begriffe gegenüber Menschen mit Behinderungen findest du auf leidmedien.de. Wichtige Begriffe in der barrierefreien Kommunikation werden auf einer Unterseite der ZHAW erklärt. Das Glossar für diskriminierungssensible Sprache des österreichischen Arms von Amnesty International gibt einen überschaubaren Überblick darüber, wie du dich sprachlich gegen Rassismus einsetzen kannst.

Besonders empfehlenswert ist der Leitfaden der Schweizer Sektion von Amnesty International, da er direkt anwendbare Tipps und Beispiele für eine diskriminierungsfreie Sprache gegenüber allen möglichen sozialen Gruppen beinhaltet.

 - Angelina